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Der optimistische Pessimist


 

Siehst du dein Leben als Autor schwarz? Sagt dir die innere Stimme: Dein Glück liegt nicht zwischen den Zeilen? Dann wird’s höchste Zeit, an dich zu glauben. Optimismus kann man lernen.


In der Nacht hat es mir zwei Stunden lang in mein Cabrio geregnet, beim Aufstehen habe ich mir vier Nägel abgebrochen, auf dem Weg ins Büro hat mich ein Polizist angeschrien. Meine Katze hat zum Frühstück meine Jause gefressen, ich habe mir ein Sardinensandwich gekauft und mir davon eine Fischvergiftung geholt. Am Vormittag habe ich meine Sonnenbrille verloren und den Termin beim Steuerberater versäumt. Am Nachmittag bin ich mit dem Stöckel in einem Kanaldeckel hängen geblieben und von meinem Chef zur Schnecke gemacht worden. Was für ein Tag. Und die ganze Zeit über sitzt diese blöde Kuh von Bloggerin da drüben auf ihrer Terrasse, schreibt ihren Text, als wäre es ein Einkaufszettel, und strahlt noch dazu, als hätte sie einen Brocken Sonne gefrühstückt. Hat die keine Probleme?


Wenn das ein Monolog ist, den Sie mitreden könnten, dann brauchen Sie etwas Hilfe. Das Geheimnis heißt Optimismus.


Fakt ist: Unser Gehirn vergisst nichts. An sich ist es ein Speicher mit unbegrenzter Kapazität, auch wenn wir sie nicht annähernd nutzen können. Was immer wir im Laufe eines Tages an Informationen aufnehmen, wird jedenfalls dort oben abgelegt. Was nicht heißt, dass wir jederzeit Zugriff darauf haben. Müssen wir auch nicht. Beim modernen Menschen rauschen täglich elf Millionen Sinneseindrücke pro Sekunde herein, vierzig davon werden verarbeitet, der Rest fällt unter Schrott oder wartet auf seinen Auftritt, mitunter ein Leben lang.

Zum Vergleich: Unsere Urzeit-Vorfahren dachten im Kampf ums Überleben und Fortpflanzen in maximal zehn bis zwanzig Bildern täglich. Im Mittelalter kamen die Menschen auf zweihundert Bilder, mehr brauchte es nicht.

Der heutige Mensch saugt hingegen aus unzähligen Quellen Informationen auf. Gewollt oder ungewollt. Und all diese Informationen zwischen Aufstehen und Einschlafen wandern in sein Bewusstsein und von dort ins Unterbewusstsein, von wo sie jederzeit zurückkehren, uns das Leben schwer machen und uns glauben machen können, dass wir nichts können. Schon gar nicht schreiben.


  • Feind Nummer eins: Hüte dich vor Miesmachern. Zum Beispiel vor den guten Bekannten, die ein Gespräch damit beginnen, wie schlecht du nach einer durchgeschriebenen Nacht ausschaust. Du wirst es irgendwann selbst glauben. Der Rat des Optimisten: Tapp nicht in die Falle der sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

  • Feind Nummer zwei: Mach einen Bogen um alle, die gerne Hiobsbotschaften überbringen. Sie kennen die aktuellen Erkenntnisse über Schreibblockaden und wissen auch schon, wer davon betroffen ist. Der Rat des Optimisten: Ohren zu und weiterschreiben.

  • Feind Nummer drei: Vorsicht vor den Selbstzerstörern. Man erkennt sie an der Gewitterwolke über ihrem Kopf. Sie ziehen das Unheil an und teilen es jedem, den es nicht interessiert, mit. Der Mechanismus ist vor allem bei Menschen zu erkennen, die viel mehr Zeit haben als du, weniger Dank und Anerkennung für ihre Arbeit bekommen und mit Vorliebe prophezeien, dass dein Text ohnehin nie fertig wird. Der Rat des Optimisten: Die Schreckensnachricht eines Selbstzerstörers gehört überhört.

  • Feind Nummer vier: Halte Abstand zu den Traumtötern. Vermeide es vor allem, ihren Informationsdrang zu wecken. Erzählst du einem Traumtöter nämlich, dass du den besten ersten Satz aller Zeiten geschrieben, dein Angst-Kapitel endlich fertig oder einen Verleger gefunden hast, darfst du nicht darauf hoffen, dass er sich mitfreut. Im Gegenteil. Er wird sich sofort in Warnungen ergehen, die er unlängst über den japsenden Buchhandel und das marode Verlagswesen gelesen hat. Und er wird dir die Freude verderben. Der Rat des Optimisten: Träume sind Ziele, wenn einer sie unter Beschuss nimmt, dann nur du selbst.

Und noch ein paar praktische Tipps:


  • Um der Zuversicht Tür und Tor zu öffnen, solltest du auch abseits der Tastatur bei ganz banalen Dingen ansetzen. Anders gesagt: Trink immer aus dem halbvollen, statt aus dem halbleeren Wasserglas. Optimismus kann man tanken, und am billigsten ist der Happy-Sprit in der Natur.

  • Geh spazieren, das hasst der Pessimist in dir. Denn danach wird das Schwarzsehen schon recht anstrengend, die Seele befindet sich schnell wieder im grünen Bereich, und die Schreibhand wird ganz locker.

  • Noch besser ist Sport. Wenn der Puls rast, hat der Körper keine Zeit, sich den Kopf zu zerbrechen.

  • Atme mental durch. Zum Beispiel mit Meditation. Entwickle dabei das Selbstbild, das dir am besten gefällt, und beobachte, wie diese neue innere Persönlichkeit nach außen wirkt. Ich bin Hemingway, ich bin Hemingway, ich bin Hemingway. Der Name des Autors ist austauschbar.

Probiere das, was am besten zu dir passt, drei Wochen lang aus. Der Mensch ist konditionierbar, körperlich wie mental. Bilder, die du dir über einen gewissen Zeitraum immer wieder vorstellst, bleiben im Bewusstsein haften. Und halten dir vor Augen: Das Schreiben ist einfacher, als du glaubst.


Tipp: Wer Angst vorm weißen Blatt hat, kann sie hier überwinden:

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