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Schreib!


 

Disziplin ist beim Schreiben genauso wichtig wie der erste Satz, eine gute Story oder das richtige Wort. Als hätte man nicht schon genug Probleme. Aber man kann sie trainieren, die Disziplin. Wie einen Muskel.



Ein Experiment. Ein Raum. Ein Tisch. Ein Marshmallow. Ein Kind. Eine Aufgabe. Ein Konflikt. Wenn das Kind es schafft, dieses Marshmallow während der nächsten 15 Minuten nicht zu verputzen, bekommt es zwei.

Wenn das nur immer so einfach wäre.

Das Experiment an der Universität von Stanford hat gezeigt, dass sich nur eines von drei Kindern diese Viertelstunde lang beherrschen konnte. Die anderen haben auf die Belohnung gepfiffen und das Marshmallow vor Ablauf der Zeit gegessen.

15 Jahre später hat man sich angeschaut, wie sich dieselben Kinder, mittlerweile junge Erwachsene, entwickelt haben. Das Ergebnis: Die, die sich damals zurückgehalten und Selbstbeherrschung bewiesen haben, hatten bessere Noten und mehr Freunde, sie waren erfolgreicher und glücklicher. Was den Schluss nahe legt: Wer sich gut im Griff hat, erreicht schneller mehr und ist deshalb zufriedener mit sich und seinem Leben.


Aber so klar ist das dann auch wieder nicht.

Meistens ist man mit sich und dem Marshmallow allein. Kein Mensch sagt einem, dass man belohnt wird, wenn man der Versuchung widersteht. Das ist Aufgabe des Gewissens, aber irgendwie findet auch das nicht immer die richtigen Worte. Die da wären: Konzentriere dich, dafür bist du schneller fertig. Gib nicht auf, dafür wirst du erfolgreich sein.


Selbstdisziplin ist kein freundlicher Begriff. Man assoziiert damit viel eher Zwang und Strafe, als Belohnung und Erleichterung. Alle, die von Natur aus diszipliniert sind, sind grundsätzlich suspekt, und alle anderen haben ein schlechtes Gewissen.

Niemand denkt ans höhere Ziel, das man erreicht, wenn man sich zusammenreißt, sondern daran, dass man im Leben etwas versäumt. Und das auch noch mit Absicht. Und unter gewaltiger Anstrengung. Der Grund für den schlechten Ruf der Selbstdisziplin liegt wieder einmal in der Kindheit.


Disziplin spielt in der Erziehung eine tragende Rolle. Die Eltern bringen einem bei, dass das Leben kein Streichelzoo ist. Nichts wird einem geschenkt, und man kann nicht alles haben. Stopft man sich die Marshmallows trotzdem sofort in den Mund, gibt’s Saures. Irgendwann weiß man: Wenn ich groß bin, lasse ich mir nichts mehr sagen.

Und dann ist man groß und lässt sich tatsächlich nichts mehr sagen. Auch vom Gewissen nicht. Wenn es murrt, ist es, als wäre man wieder ein Kind. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass man jetzt nicht mehr folgen muss. Und das tut man dann auch nicht.


Fehlende Selbstdisziplin ist ein Protestverhalten, das sich im Alltag in verschiedener Verkleidung zeigt. Besonders gern verzieht sie sich, wenn man schreiben sollte. Kaum nähert man sich dem Computer, was ohnehin schon eine Willensanstrengung ist, kriecht sie in den letzten Winkel. Und damit ist die Verlockung, den Computer links liegen zu lassen, übermächtig.

Verlockungen zu widerstehen, ist am einfachsten, wenn man ihnen aus dem Weg geht. Das ist nicht nur logisch, sondern auch wissenschaftlich erwiesen. Forscher aus Cambridge und Düsseldorf stellten fest, dass Willenskraft allein oft nicht ausreicht. Besser ist es, wenn man Versuchungen gar nicht erst an sich heranlässt.


Dass das funktioniert, bewies ein Experiment mit 78 Männern und erotischen Bildern, praktisch das Marshmallow für Erwachsene.

Im ersten Szenario forderte man die Willenskraft direkt heraus. Die Männer konnten sich entweder sofort harmlose erotische Bilder anschauen. Oder sie bekamen als Belohnung deutlich pikantere Bilder zu sehen, wenn sie innerhalb einer festgelegten Wartezeit keinen Blick auf die Fotos riskierten.

Im zweiten Szenario konnten sich die Testpersonen vorher entscheiden, ob sie sich die Wartezeit mit der permanenten Versuchung durch die harmloseren Bilder erschweren wollten oder nicht. Wer ohne die harmlose Ablenkung ausharrte, wurde auf jeden Fall mit den begehrten Fotos belohnt. Sie konnten sich also vorher selbst daran hindern, eine kurzsichtige Entscheidung zu treffen.

Das Ergebnis: Wer sich auf seine Willenskraft verlässt, widersteht der Versuchung nur schwer. Die Gehirnscans zeigten, dass bei den Männern im Selbstbindungs-Szenario vor allem der frontopolare Cortex aktiv war, der auch für die Zukunftsplanung zuständig ist. Und das beeinflusst den sogenannten dorsolateralen Präfrontalcortex, der sich um die Willensbildung kümmert.


Du fragt dich: Was hat das jetzt mit dem Schreiben zu tun?

Nicht ganz so viel wie mit erotischen Fotos. Die Objekte der Begierde sind zwar austauschbar, aber etwas nicht mehr zu tun, ist leichter, als sich zu etwas aufzuraffen. Will man abnehmen, hat es einen Sinn, die Schokolade außer Sichtweite zu bringen. Will man schreiben, ist es etwas kontraproduktiv, den Laptop zu verstecken. In dem Fall muss man die Disziplin trainieren.


Die Übung ist an sich nicht schwierig: Man nimmt sich für den nächsten Tag etwas vor, was man sonst nie tut. Etwas, das nicht zur Routine gehört. Etwas, das man zwar nicht ganz ungern macht, aber trotzdem vor sich herschiebt. Zum Beispiel eine Runde durch den Park joggen, das Wohnzimmer aufräumen oder das Silber putzen.


Du fragst dich erst recht: Was hat das mit dem Schreiben zu tun?

Viel mehr als erotische Fotos. Erledigt man die kleinen Aufgaben, die im Laufe des Trainings stetig größer werden, ist das wie einen Vertrag mit sich selber einzuhalten. Zur Sicherheit holt man sich vielleicht noch ein paar Zeugen dazu, denen man sagt, was man vorhat. Dadurch ist Aufgeben nicht nur ein Versagen, sondern auch noch peinlich.

Die Aufgaben müssen natürlich schon ein bisschen wehtun. Schuftet man tagelang hart, um sich dafür ein Vollbad zu gönnen, das man sonst auch jederzeit nehmen kann, ist das zu wenig. Man muss sich schon mit etwas belohnen, das man wirklich haben möchte.


Einen Maserati zum Beispiel?

Wäre schön. Einen Tag diszipliniert schreiben, ein Auto. Zwei Tage diszipliniert schreiben, eine Weltreise. Auch so etwas Abstraktes wie Zufriedenheit taugt als Belohnung überhaupt nichts. Außerdem wird sie frei Haus ohnehin mitgeliefert.

Wie lange man mit anderen Aufgaben üben muss, bis die Disziplin auch beim Schreiben pariert, hängt von den Autoren ab. Ebenso wie die Art Belohnung, die sich jeder dafür aussucht. Was zuletzt dabei herausschaut, ist jedenfalls: ein Manuskript.



Tipp: Für alle die genug Disziplin aufgebracht haben und jetzt sprachlos am Schreibtisch sitzen, empfehlen wir unseren Blog-Beitrag: https://www.ichschreibe.at/post/die-angst-vorm-weißen-blatt

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